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Hannes Stein | Die Welt

Die Radikalisierung der Republikaner

 


Pro-Trump-Demonstranten vor dem Kapitol 2020 kurz vor dem Sturm. Quelle: SHANNON STAPLETON/REUTERS

 

 

Ob Einwanderung, Waffenrecht oder Abtreibung – die Republikaner vertreten immer radikalere Positionen. Die Partei von Ronald Reagan und George H. Bush ist seit dem Aufstieg Trumps nicht wiederzuerkennen. Wie konnte es so weit kommen? Ermöglicht wurde das im Wesentlichen durch zwei Entwicklungen.

 

 „Ladies und Gentlemen, bitte erheben Sie sich für die grauenhaft und unfair behandelten Geiseln des 6. Januar“, dröhnte eine sonore Lautsprecherstimme.

 

Ein Stadion voll jubelnder Menschen in Ohio folgte im vergangenen März der Aufforderung; Donald Trump, der eine rote Baseballkappe mit der Aufschrift „Make America Great Again“ trug, legte die Hand an den Mützenschirm, als salutiere er Soldaten.

 

Dann erklang das „Lied der Geiseln des 6. Januar“; eine Version der Nationalhymne, gesungen von Inhaftierten, die für ihre Teilnahme am Sturm auf das Kapitol verurteilt wurden, und die in den Fahneneid mündet, der von Trump gesprochen wird.

 

Das Ganze erinnerte an eine religiöse Zeremonie: Märtyrer wurden geehrt, ein Ritual geschaffen, eine Gemeinschaft versicherte sich eines ihrer fundamentalen Glaubensartikel.

 

Donald Trump bei der Wahlkampfveranstaltung in Vandalia im US-Bundesstaat Ohio. Quelle: Jeff Dean/AP/dpa

 

Bei den „Geiseln des 6. Januar“ handelt es sich um rechtskräftig verurteilte Straftäter. Sie sitzen in Haft, weil sie Teil eines Mobs waren, der am 6. Januar 2021 das Kapitol in Washington stürmte, um zu verhindern, dass die Stimmen ausgezählt wurden, die Trumps Wahlniederlage offiziell besiegelten.

 

Hunderte wurden an jenem Tag verletzt, unter ihnen 176 Polizisten, die das Kapitol beschützten; einige Politiker – unter ihnen der republikanische Senator Mitt Romney und der amerikanische Vizepräsident Mike Pence – entkamen nur knapp der Menge, die sie lynchen wollte.

 

Fünf Menschen starben an jenem Tag. Einer davon war Ashli Babbitt, eine Anhängerin der antisemitischen QAnon-Bewegung; sie wurde von einem Polizisten erschossen, als sie versuchte, im Inneren des Kapitols mit Gewalt eine Tür zu durchbrechen.

 

Der amerikanischen Rechten gilt Ashli Babbitt längst als Märtyrerin. Forgiato Blow, ein weißer Rapper, schrieb ihr zu Ehren einen Song:

 

„Ashli Babbitt, you know we hold you in prayer /

 

Ashli Babbitt, we know that your soul’s in the air“

 

So lauten zwei Verse daraus. Ashli Babbitt, wir beten für dich und wissen, dass deine Seele im Himmel ist.

 

Aufklärung gilt als Verrat

 

Wie viele Mitglieder der Republikanischen Partei halten den Sturm auf das Kapitol für eine Heldentat? Laut einer Umfrage des Fernsehsenders ABC und des Meinungsforschungsinstituts Ipsos, veröffentlicht knapp ein Jahr danach, erklärte mehr als die Hälfte der Republikaner, der Mob in Washington habe „die Demokratie geschützt“.

 

Adam Kinzinger und Liz Cheney, zwei republikanische Politiker mit verlässlich konservativen Ansichten, sind mittlerweile Unpersonen innerhalb der Partei; ihre politische Karriere ist beendet. Cheney ist die Tochter des ehemaligen Vizepräsidenten Dick Cheney, der zusammen mit George W. Bush regierte. Kinzinger flog als Pilot der Luftwaffe Einsätze im Irak und in Afghanistan.

 

Was war das Vergehen der beiden? Sie gehörten als Republikaner einem Untersuchungsausschuss im Repräsentantenhaus an, der herausfinden sollte, was am 6. Januar 2021 genau geschehen war. In der heutigen Republikanischen Partei gilt das als Verrat. Es ist die eine Sünde, die nicht verziehen wird.

 

Es ist kein Wunder, dass Adam Kinzinger und Liz Cheney heute als Verräter gelten. Eine Umfrage von NBC News aus dem Oktober 2022 ergab, dass zwei Drittel der Republikaner überzeugt waren, Trump habe die Wahl zwei Jahre zuvor gewonnen und Joe Biden sei nur durch massiven Betrug an die Macht gekommen. Für diese Behauptung gibt es keinerlei Beweise.

 

Dutzende Gerichtsurteile bestätigten, dass es 2020 keine nennenswerten Unregelmäßigkeiten gab. Rechte Fernsehsender verbreiteten, Wahlmaschinen hätten Millionen Stimmen, die eigentlich für Trump abgegeben worden seien, Biden zugeschlagen.

 

Demonstranten stürmen am 6. Januar 2021 das Kapitol. Quelle: Pacific Press/LightRocket via Getty Images

 

Heute behaupten die rechten Fernsehsender das nicht mehr, weil die Hersteller jener Wahlmaschinen Prozesse wegen Verleumdung angestrengt und Milliarden Dollar Schadensersatz gewonnen haben. Trotzdem gehört das Märchen von den manipulierten Wahlmaschinen mittlerweile fest zum Weltbild der Republikaner.

 

In weniger als einem halben Jahr werden die Amerikaner aufgerufen, einen neuen Präsidenten zu wählen, und Donald Trump strebt eine Rückkehr ins Weiße Haus an. Würde er im Fall einer Niederlage das Ergebnis diesmal akzeptieren? „Ich denke, wir werden gewinnen“, erklärte der 77-Jährige in einem kürzlich veröffentlichten Interview mit dem „Time“-Magazin. „Und wenn wir nicht gewinnen, kommt es darauf an. Es kommt immer auf die Fairness einer Wahl an.“ Es klang wie die Androhung von neuer Gewalt.

 

Kult gegen Koalition

 

Bekanntlich gibt es in den Vereinigten Staaten zwei politische Parteien, die sich in beinahe jeder Hinsicht fundamental unterscheiden. Häufig sind ihre Wähler schon am Aussehen erkennbar: Wer dunkelhäutig und jung ist, wählt wahrscheinlich die Demokraten, ältere weiße Pick-up-Truck-Fahrer sind in aller Regel Republikaner.

 

Dann sind die Demokraten eine eher weibliche Partei: Hätten ausschließlich Frauen das Wahlrecht, gäbe es für die Republikaner nie mehr eine Chance, an die Macht zu kommen. Die Republikaner sind dagegen sehr männlich geprägt. Würde das Wahlrecht für Frauen (das seit 1920 gilt) über Nacht abgeschafft, würden die Republikaner nie wieder abgewählt.

 

Der schärfste Unterschied zwischen den beiden Parteien betrifft indessen den Bildungsgrad: Immer weniger Weiße mit Collegeabschluss identifizieren sich mit der Republikanischen Partei, dafür gewinnen die Republikaner teilweise Männer ohne höhere Schulbildung dazu, die Latinos oder Schwarze sind.

 

Unterschiedlich sind auch die Wohnorte: Republikaner sind in ihrer überwiegenden Mehrheit auf dem Land zu Hause, Demokraten vor allem in den Großstädten.

 

Doch bei allen Unterschieden haben Republikaner und Demokraten eine Gemeinsamkeit: Nach europäischem Verständnis sind sie gar keine Parteien. Die Republikanische Partei trägt immer mehr Züge eines Kults.

 

Das republikanische Parteiprogramm des Jahres 2020 passte auf ein Blatt Papier. Der entscheidende Passus lautete: „Das nationale Organisationsgremium der Republikanischen Partei unterstützt Präsident Trump enthusiastisch … und beschließt, dass die Republikanische Partei das America-First-Programm des Präsidenten enthusiastisch unterstützt hat und weiter unterstützen wird.“

 

Das war alles. Mehr Programm hat und braucht d