Hoffen auf späte Gerechtigkeit
Fast 30 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda steht heute einer der Drahtzieher vor dem Gerichtshof in Den Haag. Felicien Kabuga soll Morde an den Tutsi gezielt vorangetrieben haben. Hinterbliebene hoffen auf späte Gerechtigkeit.
Im Frühjahr 1994 wird Monique Mukaminega aus dem Nichts der Boden unter den Füßen weggerissen. Es ist das Ende der Welt, wie Monique sie kennt. Sie verliert ihre Eltern und ihre vier Geschwister während des Völkermordes in Ruanda. Nur sie und ihre Schwester überleben. 100 Tage währt der Genozid, dem schätzungsweise 800.000 Tutsis, aber auch gemäßigte Hutus zum Opfer fallen, und der das Land bis heute prägt.
Ab dem 29. September 2022 steht in Den Haag einer der Drahtzieher und der mutmaßliche Finanzier des Völkermords, Felicien Kabuga, vor Gericht. Kabuga war lange einer der meistgesuchten Männer auf der Welt, 26 Jahre lang war er nicht zu fassen. Unerkannt lebte er unter anderem in Deutschland, Belgien und in der Schweiz. Im Mai 2020 wurde er im Rahmen der sogenannten "Operation 955" von der französischen Polizei in Asnières-sur-Seine, einem Vorort nordöstlich von Paris, festgenommen.
Sie sei glücklich gewesen, als sie von der Festnahme Kabugas gehört habe, sagt Monique. "Wir werden jetzt sehen, ob der Gerechtigkeit genüge getan wird." Kabuga, der als Sohn einfacher Bauern geboren wurde und sich zu einem der wohlhabendsten und einflussreichsten Geschäftsmänner Ruandas hocharbeitete, habe seinen Reichtum nicht eingesetzt, um die Menschen zu schützen, so Monique.
Öffentliche Anstiftung zum Völkermord
Im Gegenteil: Kabuga, der sehr enge Kontakte zu der regierenden Hutu-Elite und der Regierungspartei MRND pflegte, soll bereits 1993 die Vorbereitungen für den Völkermord eingeleitet haben. In der Anklageschrift werden dem heute 87-Jährigen unter anderem Völkermord, die öffentliche Anstiftung zum Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen.
Als Gründer des Radio- und TV-Senders RTLM habe Kabuga Hass verbreitet, und zu Gewalt aufgerufen mit dem Ziel, die Volksgruppe der Tutsi in Ruanda auszulöschen, heißt es in der Anklageschrift. RTLM habe einzelne Personen als Tutsi identifiziert, deren Aufenthaltsorte bekanntgegeben, und in Sendungen zum Mord aufgerufen. Im Radio wurden Tutsi immer wieder als "Kakerlaken" und "Schlangen" bezeichnet. "An alle Kakerlaken, die uns zuhören. Ruanda gehört denen, die es verteidigen. Und ihr Kakerlaken seid keine Ruander," ist nur eine Radio-Hassbotschaft gegen die Tutsi.
Kabuga soll auch die Interahamwe-Miliz, die bei dem Genozid für einen Großteil der Morde verantwortlich war, aufgebaut haben. Zwischen dem 1. Januar 1994 und dem 17. Juli 1994 soll sich das Führungskader auf Kabugas Grundstück getroffen haben. Dort habe er die Interhamwe mit Waffen, Munition, Uniformen, Nahrung und Fahrzeugen versorgt, heißt es in der Anklage. Er habe die Miliz finanziell unterstützt und Belohnungen verteilt. Vor der französischen Untersuchungsrichterin wies Kabuga 2020 die Vorwürfe entschieden als "Lügen" zurück, er besteht auf seine Unschuld.
Meilenstein der Justiz?
Der internationale Strafgerichtshof für Ruanda wurde am 8. November 1994 geschaffen, um den Völkermord strafrechtlich aufzuarbeiten. Insgesamt 93 Menschen wurden von dem Tribunal angeklagt. 82 Menschen wurde bislang zunächst in Aruscha in Tansania und seit 2015 in Den Haag der Prozess gemacht. Im Juni 1998 wurde zum erstem Mal seit den Nürnberger Prozessen ein früheres Staatsoberhaupt, in dem Fall der ehemalige ruandische Premierminister Jean Kambanda für schuldig befunden. Weitere hochrangige Verurteilungen, unter anderem des damaligen Armeechefs folgten.
Für viele Menschenrechtsexperten ist das Tribunal ein juristischer Meilenstein, aber es gibt auch Kritik. So sei das Tribunal nicht gewillt gewesen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die die jetzige Regierungspartei Patriotische Front Ruandas (RPF) begangen haben soll, juristisch zu verfolgen. Die RPF, die im Exil von dem heutigen Präsidenten Paul Kagame gegründet wurde, marschierte im Juli 1994 in Ruanda ein, und beendete den Völkermord.
Gerechtigkeit für die Opfer
Trotzdem solle man die Bedeutung des Prozesses gegen Kabuga nicht unterschätzen, sagt Joseph, Moniques Ehemann. Für die Opfer sei es wichtig zu wissen, dass es Institutionen gebe, die ihre Rechte schützen. "Es ist gut. Es ist wichtig zu zeigen, dass es Gerechtigkeit gibt. Niemand steht über dem Gesetz."
Prozess in Den Haag beginnt [Felicien Kabuga vor Gericht]
(c) 2022, Tagesschau
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